Spätzünder II

Überraschung: Eine Schildkröte im Garten19. Juli 2020

Spätzünder! – II. 

Zweiter Bildungsweg – na also, geht doch

Okay, nachdem aufgrund der „nicht geklärten Herzrhythmusstörungen“ klar war, dass ich doch nicht Fräulein Smilla nacheifern und obercool knallharte Verbrecher zur Strecke bringen würde, stand ich wieder am Anfang meiner Überlegungen, etwas Neues anzufangen! Was gab es noch? 

Eine andere Ausbildung? Schule? Ein Sozialpädagogik-Studium vielleicht, aufbauend auf die Erzieherinnen-Ausbildung? Vielleicht wäre da was dabei, denn irgendwie fand ich das Lernen jetzt ziemlich cool – wenn auch längst nicht in allen Fächern (dass ich Mathematik NICHT studieren würde, war irgendwie ziemlich schnell klar. ;-).

Abitur mit 25?

Okay, vielleicht nicht die schlechteste Idee: das Abi nachholen.

Ich betone: nachholen. Somit also wieder etwas, das ich, anders als die meisten, erst viel später erlangte. 

Aber man kann es auch positiv sehen, denn mein Spät-Abi war ja möglicherweise auch die Ursache dafür, dass ich das für meine eigenen Kindern recht entspannt sehe. Wenn sie ihr Abi nicht gleich machen, können sie es ja ebenso später nachholen. Da findet man Schule und Lernen meist nicht mehr so blöd wie als Jugendliche/r. Mal ganz abgesehen davon, dass einen auch die LehrerInnen anders behandeln…

Für mich bedeutete das Abi nachholen auch, dass ich noch drei weitere Jahre Zeit haben würde, herauszufinden, was ich wirklich wollte.

Da ich schon eine Berufsausbildung hatte, konnte ich das Abitur nur über den sogenannten „Zweiten Bildungsweg“ erwerben. In Rheinland-Pfalz gibt es insgesamt drei Kollegs: in Speyer, in Mainz und in Koblenz. 

Speyer kam für mich nicht in Frage. Koblenz war das Nächste und so besuchte ich dieses. Aber nur im ersten Jahr. Denn in jener Zeit allerdings lernte ich jemanden kennen, der in Mainz studierte. Und weil er auch Musik machte und wir ziemlich verknallt waren, war schnell klar, wo ich hingehen würde: nach Mainz.

Das war die beste Entscheidung. Allerdings nicht wegen des Kerls – jedenfalls nicht wegen diesem, denn der war nach wenigen Jahren aus der gemeinsamen Wohnung wieder ausgezogen.

Leben über den Dächern von Mainz – in einem zehn Quadratmeter-Zimmer mit grandioser Aussicht

Mit die beste Zeit war die im Wohnheim. Man wohnte in einem Mini-Zimmer auf dem Mädels-Stockwerk (5. Etage, schön weit oben :-)), nur mit Waschbecken (Duschen und Toiletten waren im Gang), Einbauschrank und -bett und Schreibtisch, aber einer grandiosen Aussicht auf Mainz. Da also verbrachte ich die nächsten zwei Jahre. Es war klein, eng, hellhörig, aber: guuut!

Ich lernte sehr viele tolle Menschen und ein ganz anderes Leben kennen, als ich es bisher gewohnt war. Im Wohnheim war immer was los. Wenn man Lust dazu hatte, konnte man jeden Abend auf eine andere Party gehen – wenn man nicht gerade zu lernen hatte. Oder man saß mit FreundInnen bis spät in die Nacht in der gemütlichen Gemeinschafts-Sitzecke zusammen, die es auf jedem Stockwerk gab und redete über Gott und die Welt: Inspiration pur. 

WG mit Schildkröte, Hund und Klavier und frischen Brötchen nachts um 3…

Warum ich schließlich aus dem Wohnheim auszog, weiß ich heute nicht mehr so genau. Wahrscheinlich wurde es doch zu eng, vielleicht aber wollten wir einfach mal was Neues probieren.

Also gründete ich mit zwei weiteren Mädels aus dem Kolleg eine WG.

Wir fanden eine Wohnung in Mainz-Mombach, in einem Hinterhaus, mit Gemeinschaftsküche, Toilette und einer Dusche, die nur von meinem Zimmer aus begehbar war. Man musste sich also absprechen – nicht immer ganz einfach, aber es ging. 

Die Wohnung war – nicht nur nach heutigen Maßstäben – ziemlich schäbig; keinen Schimmer, wann dort die letzte Renovierung stattfand. Und es war laut: der Mombacher Bahnhof war fast hinter uns und nachts hatte man das Gefühl, die endlosen Güterzüge würden geradewegs durch die Wohnung rattern. 

Ach ja: Nestlé war auch nicht weit – oder zumindest doch so nah, dass man, je nach Windrichtung, manchmal tagelang den Geruch von Kaffee (leider aber nicht der von frisch gebrühtem) in der Nase hatte. Und Ihr könnt mir glauben: selbst als passionierter Kaffeetrinker will man das nicht wochenlang 24/7.

Alles in allem also kein Luxus-Domizil, aber wir hatten jede unser eigenes Zimmer – und das war größer als das im Wohnheim.

Der Vermieter war ein schrulliger, 60-Jähriger, der aussah wie 80 und einen alten Hund hatte, der manchmal in dem kleinen, total verwilderten Garten herumlief, der sich hinter dem Haus befand.

Den Hund lernte ich erst kennen, als ich einmal neugierig durch den Garten spazierte. Urplötzlich stand dann dieser rabenschwarze, große Hund vor mir. Das war, nun ja, thrillertauglich. Zum Glück war er keine reißende Bestie, sondern zahm – und gefühlt im gleichen Alter wie sein Herrchen.

Cassiopeia, die Schildkröte

Eine weitere Begegnung fand ebenfalls in diesem Garten statt, und zwar die mit einer ziemlich großen Schildkröte, über die ich beinahe (in all dem Gestrüpp) gestolpert wäre. Auch sie gehörte meinem Vermieter – wie sich erst auf Nachfragen herausstellte. Ich nannte sie Cassiopeia, wie die Schildkröte aus Momo. Und dabei muss ich immer an eine meiner Lieblingsszenen aus dem Buch denken: Kennt Ihr die, wo Momo mit Cassiopeia in dem neuen Schnell-Restaurant von Nino ist und ihre Schildkröte kurzerhand auf das Tablett setzt? Eigentlich ist es eine traurige Szene, aber bei der Vorstellung, wie die Schildkröte zwischen den Speisen auf dem Tablett sitzt und zur Kasse geschoben wird, da könnte ich mich wegschmeißen :-)).

Warum das Klavier leider ein Betrug war und wir nachts um 3 frische Brötchen bekamen, dazu mehr im nächsten Blog… keep on rockin’ 😉

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